Jeder von uns hat schon einmal erlebt, wie es ist, plötzlich und unvermittelt einen Verlust zu erleiden – willkürlich und ganz ohne Verschulden. Solche Verlusterfahrungen führen uns immer wieder klar vor Augen, dass – entgegen unserer Erwartungs- und Anspruchshaltung – das meiste im Leben nicht unter unserer Kontrolle steht und uns das Liebste jederzeit entrissen werden kann. Hierfür haben sich Stoiker eine bestimmte Haltung angeeignet, die gerade angesichts von Verlusten und Verlustängsten hilfreich sein kann. Denn für Stoiker steht alles im Leben unter dem Vorbehalt: „Wenn das Schicksal es zulässt.“ Mit diesem allgegenwärtigen Vorbehalt ist der Stoiker immer darin bemüht, so achtsam wie möglich zu sein auf das, was wir haben, und es richtig zu würdigen – denn es könnte bald vorbei sein. Daher ist es wichtig, den Augenblick wertzuschätzen und Dankbarkeit für die schönen Dinge, die wir haben, zu empfinden.
„Wir müssen aus den Dingen, die in unserer Macht stehen, das Beste machen, und alles andere so nehmen, wie es ist.“ (Epiktet)
In dieser Haltung ist der Stoiker weder ein unverbesserlicher Optimist, der immer einen guten Ausgang erwartet; denn er nimmt nicht an, dass selbstverständlich alles gut gehen wird. Er ist aber auch kein Pessimist, der immer annimmt, dass alles schlecht ausgeht und in Fatalismus verfällt. Jakob von Uexküll, der Begründer des „Alternativen Nobelpreises“, hat diese Haltung am besten getroffen, als er sich selbst weder als Optimist noch als Pessimist, sondern vielmehr als „Possibilist“ bezeichnete. Er meinte:
„Es gibt zu viele Möglichkeiten, als dass man Pessimist sein kann. Es gibt natürlich auch zu viele Krisen, als dass man einfach Optimist sein kann. Ich bin Possibilist, ich sehe Möglichkeiten.“ (Jakob von Uexküll)
Auch die Stoa ermutigt uns immer wieder, nach Möglichkeiten zu suchen und neue Wege zu finden. Damit es gelingt, neue Möglichkeiten zu eröffnen, muss man nicht zuvor die Welt verändern – man muss vielmehr die eigene Sichtweise verändern. Der Possibilist betrachtet die Welt so, wie sie ist, aber aus einer anderen Perspektive. Ihm erscheinen die Dinge in einem neuen Licht und er erkennt, was wirklich wichtig ist. So wird er selbst zum Gestalter seiner Lebensbedingungen und seines eigenen Lebensglücks. Es ist einen Versuch wert!
„So wie der Zimmermann mit Holz arbeitet und der Bildhauer mit Bronze, so ist unser eigenes Leben das Material für den, der sich mit der Kunst des Lebens befasst.“ (Epiktet)
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