Vorsicht vor der Goldenen Gans

Sie kennen sicher das das Märchen „Die goldene Gans“ (hier in einer Illustration von Otto Ubbelohde, 1909). Darin findet der „Dummling“ eine Gans mit goldenem Gefieder und nimmt sie mit. Die drei Töchter des Gastwirts wollen eine Feder erhaschen und bleiben daran kleben, ebenso wie später der Pfarrer, der Küster und schließlich noch zwei Bauern. Beim Anblick dieser hintereinander her stolpernden Menschen-Kette lacht die Königstochter, die sonst so ernst ist, dass der König sie dem versprach, der sie zum Lachen brächte. 

Laut der Märchenforschung geht der Text der Gebrüder Grimm auf einen sehr alten Märchentypus zurück. Sein Kernmotiv ist „schwankhafte Situationskomik und Bloßstellung ertappter Gier und Lüsternheit“. Und tatsächlich – das ist schon ein komisches Bild, über das wohl auch der Stoiker Seneca (der selbst Theaterstücke schrieb) geschmunzelt hätte. Allerdings war er in seiner Einstellung zu Gold und Reichtümern sehr ernst:

Ich will Reichtümer, mag ich sie haben oder entbehren, gleichermaßen verachten. Ich bin weder traurig, wenn ich sie anderswo aufgehäuft sehe, noch bin ich mutiger, wenn sie um mich her schimmern. (Seneca)

Damit wir uns nicht missverstehen: Die Lehre der Stoa verurteilt NICHT, dass uns der Aufbau von Vermögen und einer finanziellen Absicherung als wichtige Aufgabe im Leben gilt. Sie möchte uns jedoch klarmachen, dass solche äußerlichen Dinge nicht entscheidend für ein gelungenes Leben sind. Stoiker sehen Gold (als Synonym für Reichtum) als „indifferent“, als belanglos an, wenn es um das Lebensglück geht. Entscheidend ist nur unsere innere Einstellung dazu.

Um die Risiken einer Jagd nach dem Gold bildhaft zu verdeutlichen, hätten die Stoiker kein besseres Bild finden können, als es das „Märchen von der goldenen Gans“ zeichnet. Das Bild zeigt uns: Viele Menschen – aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Schichten – hängen am Gold und kommen nicht mehr los davon. Sie sind im bildlichen Sinne den Versuchungen des Goldes „auf den Leim gegangen“. Und auch wenn wir darüber lachen oder den Kopf schütteln – es ist ein verbreitetes Phänomen. Wenn wir ehrlich darüber nachdenken, sind auch wir selbst betroffen! Wer dem Gold in seinem Leben zu viel Bedeutung beimisst, läuft Gefahr, davon nicht mehr loszukommen. Einmal in den Fängen des Goldes, lässt es einen nicht mehr aus den Krallen. Und am Ende wird man – wie im Märchen – am Nasenring durch die Arena geführt.

1 Kommentar

  1. Lieber Herr Schmidt,
    Liebe Community,

    ich freue mich immer, wenn die großen Weisheitslehren der Menschheitsgeschichte mit unserer Lebensphilosophie übereinstimmen, hier z.B. was das Glücklichsein durch materielle Werte betrifft. Jesus sagte etwa sinngemäß „Eher passt ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher ins Himmelreich gelangt“ – gemeint war natürlich das geistige Anhaften, das emotionale „Hängen“ an diesen Reichtümern, was eines Tages das Loslassen im Sterbeprozess erschweren kann. Auch der Buddha verglich das Streben nach Reichtum mit einer Person, die Salzwasser trinkt: Der Durst wird kurz gelöscht und kehrt schnell und heftiger zurück – wir wollen halt dann mehr und wieder mehr. Die Jagd danach macht uns aber nicht glücklich. Er verglich einen solchen Menschen auch mit einem Schuldner: Die Erfüllung unserer Wünsche generiert kurze Zufriedenheit, dann meldet sich aber der Geist wieder: „Wenn ich jetzt dies und das bekäme, wäre ich glücklich…“. Das werden wir eben nicht, sondern wir zahlen die „Zinsen“ in Form neuer Begehrlichkeiten. Keine Frage: Wir brauchen unser Auskommen und ja, wir können dankbar sein wenn wir materiell begütert sein dürfen – aber wir sollten uns nicht darauf fokussieren, nicht unser Streben danach ausrichten. Wenn wir dauerhaft glücklich sein wollen, sollten wir uns vielmehr unserer reichen Lebensphilosophie zuwenden, nicht wahr? > danke für diesen Artikel und alles Gute

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