Lass Trauer zu, aber vermeide Jammern

Über die „klassischen“ Emotionen Wut, Angst, Neid und ihre Bewältigung ist schon viel geschrieben worden. Aber es gibt eine Emotion, die oft aus dem Fokus gerät, uns jedoch weit nachhaltiger (be)trifft und sich nur sehr schwierig in den Griff bekommen lässt, weil sie ganz langsam das Leben vergiftet: die Trauer!

 

Oft führt die Trauer über einen plötzlichen schweren Verlust zu einer lähmenden Gemütsstimmung. Die Ursachen können vielfältig sein: Der Verlust eines geliebten Menschen, der das Leben bereichert hat und nun nicht mehr da ist. Aber auch der Verlust einer Fähigkeit, die bisher doch so selbstverständlich war und durch eine plötzlich auftretende Behinderung (nach einem Unfall oder mit zunehmendem Alter) verschwindet. Der Verlust reißt eine riesige Lücke, die unüberwindbar erscheint – aber doch überwindbar ist. Die Stoiker haben hierfür kein „Patenrezept“ an der Hand – das gibt es nicht. Aber sie geben Hinweise, wie der Zustand – langsam schrittweise – verbessert werden kann.

 

Jammern vermeiden

 

Die häufigsten Ausdrucksformen des Verlusts sind Weinen, Wehklagen und Jammern. Insbesondere das Jammern ist verständlich, aber auf Dauer schädlich. Durch Jammern will man Mitleid erregen. Es ist auch ein Zeichen dauerhaften Selbstmitleids, in dem man es sich „gemütlich“ einrichtet. Denn wer für sich selbst Mitleid erwartet, sieht sich als hoffnungslosen Fall. „Da ist nichts mehr zu machen!“ Die betroffene Person versucht gar nicht erst, „aus dem Loch heraus zu kommen.“ Der erste Schritt zur Heilung ist daher, das Selbstmitleid zu überwinden und zu erkennen: Nicht der Verlust selbst ist das (unüberwindbar erscheinende) Problem, sondern die eigene Einstellung dazu.

„Wenn du wegen eines Ereignisses verzweifelt bist, ist es nicht die Sache selbst, die dir Sorgen bereitet, sondern nur, wie du sie beurteilst. Diese Beurteilung kannst du von jetzt auf gleich löschen.“ (Mark Aurel)

 

Im Jetzt leben

 

Sobald das lähmende Selbstmitleid beendet und wieder Kontrolle über das Leben gewonnen ist, ist es wichtig, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Denn die permanente Rückschau auf das, was verloren ist, zieht einen nur herunter. Und auch ein Blick in die Zukunft hilft nicht viel weiter, da angesichts eines großen Verlusts kaum vorstellbar ist, wie diese Lücke jemals gefüllt und ein Leben nach dem Verlust möglich ist. Der Schlüssel liegt also in der Gegenwart. So lässt sich langsam wieder erkennen, was einem geblieben ist, und feststellen, wie „reich“ man immer noch ist – und man kann Schritt für Schritt vorangehen.

„Lass dich nicht von einem Blick auf die ganze Bandbreite des Lebens erschrecken. Fülle deinen Kopf nicht mit Gedanken an all die schlimmen Dinge, die noch passieren könnten. Konzentriere dich auf die Gegenwart.“ (Mark Aurel)

 

Trauer zulassen

 

Anders als das Mitleid erregende Jammern ist das Trauern wichtig. Denn die Trauer zuzulassen, eröffnet einen Prozess der Heilung. Das Trauern vergegenwärtigt die neue Situation und damit die Notwendigkeit von Veränderung. Erst wenn wir beginnen, uns dem Verlust zu stellen (im Sinne des stoischen Prinzips „Amor fati“), können wir uns auf den Weg machen, um das Verlorene zu bewältigen und uns nicht dauerhaft davon niederdrücken zu lassen. Und vielleicht – Schritt für Schritt – lassen sich dann auch Möglichkeiten für Neues erkennen. So kann der Prozess der Trauer zur Heilung führen und ermöglicht am Ende sogar einen persönlichen Reifeprozess.

 

Übrigens: Problematisch sind Verluste natürlich nicht nur die Menschen, die selbst einen Verlust zu betrauen haben, sondern gleichermaßen auch für diejenigen, die die Trauernden auf ihrem Weg begleiten. Ihnen gilt der Rat der Stoiker, dass sie sich – als Begleitperson – davor hüten sollten, sich von der Trauer allzu sehr vereinnahmen und herunterziehen zu lassen.

„Soweit es mit Worten geht, zögere nicht, an seinem Leid Anteil zu nehmen und wenn es nicht anders geht, magst du auch mit ihm seufzen. Gib jedoch acht, dass nicht auch deine Seele seufzt!“ (Epiktet)

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