Als unermüdlicher Stoa-Blogger überlege ich immer wieder, wie sich die stoischen Prinzipien einem unvoreingenommen Leser am besten erklären lassen – und zwar möglichst leicht verständlich! Erstaunlicherweise sind es oft gerade spannende Geschichten, die einen niedrigschwelligen Zugang zur Stoa eröffnen. Z.B. ist der Abenteuerfilm „Drachenzähmen leicht gemacht“ ein tolles Anschauungsbeispiel für die Kraft des Perspektivwechsels – eine der wichtigsten stoischen Fähigkeiten!
Der Film erzählt von der ewigen Feindschaft zwischen Wikingern und Drachen. Im Wikingerdorf gibt es seit Generationen nichts Ehrenvolleres als das Töten eines Drachen. Und so lernen schon die Wikingerkinder ganz früh, wie man Drachen am besten tötet. Die verschiedenen Drachenarten sind in einem Handbuch aufgelistet und jede Beschreibung endet mit dem Hinweis: „Extrem gefährlich – sofort töten!“ Dem Zuschauer erscheint die jahrhundertealte Vorgehensweise ohne weiteres plausibel, denn die Drachen speien Feuer, verbrennen die Hütten und fressen das Vieh. Da muss man doch mit voller Härte zurückschlagen! Na klar!!
Aber plötzlich wird die alte Sichtweise auf den Kopf gestellt! Es geschieht eher durch Zufall, dass der Sohn des Wikingerhäuptlings (mit dem bezeichnenden Namen „Haudrauf“) die Wahrheit über die Drachen erfährt: nämlich, dass sie empfindungsfähige und empfindsame Wesen sind, die eigentlich lieber spielen als Feuer speien und gerne am Hals gekrault werden. Diese neue Erkenntnis ermöglicht dem Helden der Geschichte einen Perspektivwechsel – und es gelingt ihm schrittweise, auch die restlichen Wikinger davon zu überzeugen, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. So wird der junge Wikinger zum Held der Kampfarena, weil er seinen Drachen durch beharrliches Halskraulen anstatt mit einem Keulenschlag „besiegt“. Und so wird es langsam auch für die anderen Wikinger erkennbar, dass sie es gar nicht mit wilden Monstern zu tun haben, sondern eher mit schmusigen Haustieren.
Natürlich, das ist ein Kinderfilm – aber er zeigt in einer berührenden und überzeugenden Story, wie leicht es ist, ein Feindbild aufzubauen, aber dass es sich lohnt, alles Bekannte und Überlieferte zu hinterfragen, um sich selbst – ganz offen – ein eigenes Bild zu machen. Dann mag es überraschen, dass wir plötzlich eine neue Seite an einem alten „Feind“ feststellen, die vielleicht den Grundstein für eine Freundschaft legen kann.
Aber so etwas gelingt natürlich nicht von selbst (nicht einmal im Kino). Die Stoiker haben dafür eine klare Strategie – und diese ist ziemlich überraschend: Begegne Fehlverhalten mit Nachsicht! Tatsächlich kann die Grundeinstellung, mit Güte und Nachsicht auf das (vermeintlich böse) Gegenüber zu reagieren, Wunder wirken. Im Film bewirkt ein Akt der Gnade, dass aus einem Todfeind ein treuer Gefährte wird. Aber gilt das auch im echten Leben, wenn wir es mit einem gemeinen Nachbarn, einem bösartigen Kollegen oder einem unfairen Chef zu tun haben? Der römische Kaiser Mark Aurel, ein praktizierender Stoiker, hatte mit vielen gemeinen und skrupellosen Typen zu tun. Und dennoch war er davon überzeugt: Güte ist unbesiegbar!
Denn wenn wir zu Beginn einer Begegnung Güte zeigen und Nachsicht üben, geben wir der Beziehung die Möglichkeit, sich zu entwickeln. Durch das Zuschlagen von Türen beschränken wir in unsere Möglichkeiten. Nachsicht ist dagegen eine Türöffner. Und wer weiß: Vielleicht wird sich dann unser Gegenüber, das wir zunächst für einen gefährlichen feuerspeienden Drachen gehalten haben, als ein zahmes Haustier erweisen. Versuchen Sie es doch einmal, wenn Ihnen das nächste Mal eine „Drache“ begegnet, ihn mit einer ordentlichen Portion Güte zu zähmen!
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