Von Epiktet und Seneca wird eine Form der philosophischen Selbstanalyse beschrieben, die regelmäßig jeden Abend von Stoikern praktiziert wurde.

 „Auch sollst du nicht mit müden Augen zu Bett gehen, bevor du nicht sorgfältig nachgeprüft hast, was du am Tag getan hast. Habe ich unrecht gehandelt? Was habe ich mit Liebe vollbracht? Was habe ich unterlassen? Von der ersten bis zur letzten – prüfe deine Handlungen und korrigiere die kläglichen Taten und erfreue dich deiner guten.“ (Epiktet)

Tatsächlich ist es für die Entwicklung einer stoischen Haltung hilfreich, sich regelmäßig abends auf die wichtigsten Geschehnisse des Tages zu konzentrieren und aus der Distanz in der Rückschau noch einmal zu reflektieren und leidenschaftslos zu kommentieren, was geschehen ist und was daraus zu lernen ist.

Ort und Zeit der „Abend-Meditation“ ist wieder ganz Ihnen überlassen. Führen Sie sich – bevor Sie schlafen gehen – die Ereignisse Ihres Tages möglichst bildlich vor Augen. Wie bei der Morgen-Meditation genügen 5-10 Minuten. Viele Menschen finden es überraschend hilfreich, sich einmal täglich kurz die Zeit zu nehmen, um intensiv darüber nachzudenken, ob sie im Einklang mit ihren Werten gelebt haben und die Person gewesen sind, die sie gerne sein wollen – auch wenn es nur wenige Minuten des Nachdenkens einnimmt. Dabei bleibt ganz Ihnen überlassen, ob Sie sich zu Ihren Reflektionen und Selbstanalysen Notizen machen wollen.

Für die „Meditation“ gibt es keine inhaltlichen Vorgaben. Sie können sich aber auch drei einfache Fragen stellen, die Donald Robertson so formuliert:

  • Was habe ich schlecht gemacht? (Haben Sie sich von irgendwelchen irrationalen Ängsten oder ungesunden Begierden leiten lassen? Haben Sie schlecht gehandelt oder sich irrationalen Gedanken hingegeben?)
  • Was habe ich gut gemacht? (Haben Sie Fortschritte gemacht, indem Sie weise gehandelt haben? Loben Sie sich und stärken Sie, was Sie wiederholen wollen!)
  • Was könnte ich anders machen? (Haben Sie eine Chance versäumt, Tugend oder Charakterstärke zu beweisen? Was hätten Sie besser machen können?)

Er gibt dazu folgende Anleitung: „Kritisiere lieber spezielle Aktionen, als deine Person als Ganzes, und fokussiere dich auf Möglichkeiten wie du dich verbessern kannst. Deine Reflektionen sollten nicht in nutzlosem Grübeln enden. Wenn du dir vor Augen führst, dass du die Vergangenheit nicht mehr ändern kannst, dann kannst du anfangen, deine eigenen Fehler zu akzeptieren und dir selbst zu vergeben, während du planst, in der Zukunft anders zu handeln.“

Donald Robertson empfiehlt auch, die Morgen- und Abend-Meditation zu einem „Lernkreislauf“ zu verbinden: „Wenn ich Menschen zeige, wie sie stoische Praktiken anwenden können, ist es hilfreich, ein einfaches Rahmenkonzept für die täglichen stoischen Übungen zu haben. Dazu gehört ein „Lernkreislauf“ mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende, der sich jeden Tag wiederholt: Morgens bereiten Sie sich auf den bevorstehenden Tag vor, im Laufe des Tages versuchen Sie, stets im Einklang mit Ihren Werten zu leben, und abends überprüfen sie Ihre Fortschritte und bereiten sich darauf vor, den Zyklus am nächsten Tag zu wiederholen.“