Die Stoiker haben schon früh eine Übung oder Methode angewendet, die als praemeditatio malorum oder Negative Visualisierung bekannt ist – eine geistige Vorwegnahme von Widrigkeiten.
„Halte dir jeden Tag den Tod und das Exil vor Augen sowie weitere Dinge, die dir furchtbar erscheinen – wenn du das tust, wirst du niemals liederliche Gedanken in dir tragen und auch kein übermäßiges Verlangen entwickeln.“ (Epiktet)
„Beginnt den Morgen, indem ihr euch sagt, heute werde ich auf den treffen, der viel Wind macht, auf den Undankbaren, den Arroganten, den Verräter, den Neidischen, den Unsozialen.“ (Mark Aurel)
Dadurch, dass man sich wiederholt zukünftige Unannehmlichkeiten oder Katastrophen vorstellt, reduziert man die Angst davor und härtet sich ab. So bereiten sich Stoiker in guten Zeiten auf schlechte Zeiten vor. Beispielsweise kann man sich vorstellen, dass man den Arbeitsplatz verliert oder an eine unangenehme Arbeitsstelle versetzt wird. Wenn man dies in Gedanken durchspielt, wird man die Umstände zunächst als schlimm empfinden. Aber bei weiterem Nachdenken werden Sie vermutlich alternative Vorstellungen entwickeln, wie Sie eine neue Arbeit finden oder sich an die Situation anpassen. Sie können sich auch alltägliche Schwierigkeiten – möglichst visuell – vorstellen, z.B. dass Ihre seit langem vorbereitete Präsentation auf Ablehnung und eisiges Schweigen trifft. Bleiben Sie aber nie beim „Worst Case-Szenario“ stehen, sondern denken Sie alle Ihre Reaktionsmöglichkeiten im Geiste durch und entwickeln Sie Ihre „beste Alternative“. Sie werden dann erkennen, dass das, was Sie sich als das Schlimmste vorstellen, in Wahrheit gar nicht so schlimm ist. Dadurch verlieren Sie die Furcht davor. Als weitere Folge werden Sie zudem zutiefst dankbar für die vielen Momente sein, in denen nichts Schlimmes passiert ist bzw. für das, was Sie haben.
Die Technik der praemeditatio malorum hat eine seriöse wissenschaftliche Grundlage. Aus der modernen psychologischen Forschung wissen wir, dass es eine gute Art ist, Ängste zu überwinden, indem man sich ihnen wiederholt in der Realität für gewisse Zeiträume aussetzt. Dazu sagt der Psychotherapeut und Stoa-Autor Donald Robertson: „Die Technik, sich wiederholt geistig stressigen Situationen auszusetzen, um eine größere emotionale Widerstandskraft zu entwickeln, ist in der Verhaltenspsychologie unter dem Begriff Stressimmunisierung bekannt. Wir nennen das heute Stärkung der Resilienz. Sich im Geiste die befürchteten Katastrophen vorzustellen, als ob sie sich tatsächlich ereignet hätten, könnte man als eine Art emotionales Krafttraining bzw. eine Methode zur Vorbereitung auf Worst-Case-Szenarien sehen. Stoiker üben im Geiste, auf solche Ereignisse mit Weisheit und Tugend zu reagieren, und Schwierigkeiten, wenn möglich, in Chancen zu verwandeln. Wählen Sie jedoch auf keinen Fall eine Szene, die Sie emotional überfordert, wie zum Beispiel eine traumatische Erinnerung.“
Versuchen Sie die Übung doch einmal und führen Sie sie dann regelmäßig durch. Sie können dies an jedem Ort und zu jeder Zeit tun – ob vor dem Einschlafen, in einer Pause oder auf dem Weg zur Arbeit.
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