Richtig ist: Es fällt schwer, sich Stoiker als politische Aktivisten vorzustellen, wo doch ihr Handeln auf das fokussiert sein soll, was sie selbst unter Kontrolle haben – und dazu gehört die Politik bestimmt nicht. Es fällt ebenso schwer, sich Stoiker als sozial engagiert vorzustellen, wo doch die eigene Seelenruhe für sie das höchste Ziel darstellt.

Aber: Stoiker standen immer mit beiden Beinen im Leben; sie waren nie abgehobene philosophische Denker. Zu den wichtigsten Politikern und Machthabern, die sich selbst als Stoiker verstanden, gehören z.B. der römische Senator Cato der Jüngere, der im 1. Jahrhundert v. Chr. in der Römischen Republik wichtige Ämter besetzte, sowie Kaiser Mark Aurel, der im 2. Jahrhundert n. Chr. das Römische Reich regierte. Es wäre also ein Missverständnis zu meinen, die stoische Ethik empfehle die gleichmütige Akzeptanz aller politischen Verhältnisse und Ereignisse. Den Stoikern ging es von Anfang an darum, die für sie bestmögliche Gesellschaft aufzubauen. Die Stoa hat dazu einen klaren moralischen Auftrag. Das höchste Ziel ist Tugendhaftigkeit und moralische Integrität. Stoizismus ist insofern immer auch eine Philosophie des sozialen Engagements gewesen. Denn es ist nicht tugendhaft, Ungerechtigkeiten oder unmoralischem Verhalten untätig zuzusehen. Daher besteht nur eine scheinbare Widersprüchlichkeit zwischen der Konzentration auf die eigenen Gedanken und der sozialen Dimension des Stoizismus. Für politisch aktive Stoiker wie Cato oder Mark Aurel waren die Lehren der Stoa nie Selbstzweck, sondern Anleitung zum Handeln und Richtschnur für ihr gesellschaftspolitisches Engagement.