Prosoché (προσοχή) bedeutet Aufmerksamkeit oder Wachsamkeit. Im Kontext der stoischen Lehre passen aber die Begriffe Wachheit oder Achtsamkeit besser. Denn sie können besser verdeutlichen, dass damit ein permanenter Zustand, eine Grundhaltung gemeint ist. Pierre Hadot beschreibt sie so: „Die Grundhaltung des Stoikers ist diese kontinuierliche Aufmerksamkeit, eine konstante Spannung, ein Bewusstsein, eine Wachsamkeit in jedem Augenblick.“ In einfachen Worten heißt dies: immer ganz „bei der Sache sein“.

Praktischbedeutet es, dass der Stoiker versucht, sich immer auf den gegenwärtigen Augenblick zu konzentrieren. „Die Wachheit ist auf den gegenwärtigen Moment bezogen. Das bedeutet nicht, dass an die Vergangenheit oder die Zukunft nicht gedacht werden dürfte, sondern vielmehr, dass vor allem der gegenwärtige Moment im Fokus der Aufmerksamkeit steht.“ (Günther Holzinger). Diese Achtsamkeit im gegenwärtigen Moment ist eine wichtige Voraussetzung, um mit negativen Gefühlen umgehen zu lernen. Z.B. entstehen Ängste und Sorgen durch die Vorstellung von unbestimmten Ereignissen in der Zukunft. Sie können durch den Fokus auf das Hier und Jetzt und die als Nächstes anstehenden Schritte eingehegt werden. Achtsamkeit im gegenwärtigen Moment ist aber auch notwendig, um z.B. aufkommende Wut und Zorn in den Griff zu bekommen. Denn nur wenn man aufmerksam auf seine Gefühlszustände achtet, können stoische Übungen frühzeitig – möglichst schon im Entstehungsstadium aufkeimenden Zorns – angewendet werden und Wirkung zeigen. Prosoché ist also eine grundlegende Voraussetzung für die Anwendung der stoischen Lehre.

„Gebiete dem Hin-und-her-gezerrt-werden (deiner Seele) Einhalt. Umgrenze die Gegenwart. Erkenne, was dir oder einem anderen widerfährt. Unterscheide und zergliedere, was dich trifft, in seine Ursache und seinen Stoff. Denk an dein letztes Stündlein.“ (Mark Aurel)

Die Stoische Achtsamkeit hat zwei Zielrichtungen: Sie ist einerseits nach innen, d.h. auf die Selbstwahrnehmung gerichtet (vor allem auf Veränderungen in den eigenen Vorstellungen oder im Gefühlszustand) und andererseits nach außen auf das momentane Geschehen und den Umgang mit den Mitmenschen. „Dies setzt“, so Günther Holzinger, „ein gewissen Maß an kognitiver Distanz voraus. Metaphorisch könnte man sagen, dass man nicht nur wahrnimmt, dass man alles durch seine eigene Brille sieht, sondern dass man versucht, quasi von außen auf seine eigene Brille zu sehen, durch die man sieht. Dies bedarf natürlich einiger Übung.“ Jedoch sind Achtsamkeitsübungen immer lohnend und bringen den (angehenden) Stoiker in der Entwicklung einer stoischen Haltung zum Leben ein gutes Stück weiter.