Tugendhaftigkeit ist nicht nur eine Frage des Charakters, sondern auch eine Frage der Einstellungen und der Handlungen gegenüber anderen Menschen. Sie hat also nicht nur eine innere, sondern auch eine soziale Dimension. Die Stoiker glauben, dass wir von Natur aus einen sozialen Charakter haben, dass sich Menschen von Natur aus umeinander kümmern und sich in ihrer Gemeinschaft engagieren. Wir werden mit dem instinktiven Wunsch geboren, anderen zu nutzen und dies in sozialem Engagement zu zeigen.

Den Stoikern ging es dementsprechend immer darum, die für sie bestmögliche Gesellschaft aufzubauen. Stoizismus ist insofern immer auch eine Philosophie des sozialen Engagements gewesen. Daher besteht nur eine scheinbare Widersprüchlichkeit zwischen der Konzentration der Stoiker auf ihre eigenen Gedanken und der sozialen Dimension des Stoizismus. Für politisch aktive Stoiker wie Cato, Seneca oder Mark Aurel waren die Lehren der Stoa nie Selbstzweck, sondern Anleitung zum Handeln und Richtschnur für ihr gesellschaftspolitisches Engagement. Insbesondere Mark Aurel bezieht sich (wie andere Stoiker) oft auf die „Brüderschaft der Menschheit“ bzw. die „Brüderschaft der Welt“ und die Idee, dass wir alle Teil eines größeren menschlichen, rationalen und sozialen Organismus sind.

„Denn wir sind zur gemeinschaftlichen Wirksamkeit geschaffen, wie die Füße, die Hände, die Augenlider, wie die obere und untere Kinnlade. Darum ist die Feindschaft der Menschen untereinander wider die Natur.“ (Mark Aurel)