Diese Übung fällt in den Momenten am schwersten, in denen man sie am nötigsten braucht. Denn zu oft lassen wir uns hinreißen zu Bemerkungen oder Taten, die wir anschließend bedauern.

Selbstbeherrschung (enkrateia) gehört zu den vier Kardinaltugenden. Sie hat in der stoischen Lehre eine besondere Funktion. Denn sie ist kein Selbstzweck, sondern notwendige Voraussetzung, um in der Lage zu sein, vernunftgemäß und tugendhaft zu handeln – was für den Stoiker das Wichtigste im Leben ist.

 „Die größte Herrschaft ist die Selbstbeherrschung.“ (Seneca)

Selbstbeherrschung richtet sich übrigens nicht nur gegen Herausforderungen von außen (wie nervige Fragen, spitze Bemerkungen, üble Beleidigungen oder Anfeindungen), sondern auch gegen innere Herausforderungen (wie Heißhunger, Sucht, Begehrlichkeiten etc.).

Es ist jedoch nicht so, dass man sie hat oder nicht hat – man muss sie trainieren. Menschen sind zwar mit einem unterschiedlichen Maß an Temperament „gesegnet“. Jedoch ist jeder letztlich in der Lage, – mit Übung – sein Temperament zu zügeln. Dazu muss man zunächst den Wert der Selbstbeherrschung für sich selbst erkennen und als erstrebenswerte Tugend zu würdigen wissen. Diese Wertschätzung der Selbstbeherrschung ist ein wichtiger Baustein des Trainings. Auf dieser Grundlage kann es dann gelingen, sich dauerhaft beherrscht (d.h. vernunftgemäß, nicht triebgesteuert) zu verhalten, und zu erreichen, was man in der Psychologie „Impulskontrolle“ nennt. Dazu muss man oft einfach nur „nichts tun“ (indem man z.B. nicht auf eine Provokation reagiert oder nicht noch ein zweites Stück Kuchen nimmt). Entscheidend ist aber, dass man sich selbst beobachtet und persönliche Warnzeichen und Impulsauslöser (Trigger) kennenlernt, mit denen wir uns reizen lassen, und gegenüber denen man das Widerstehen üben kann. Dabei sollte man mit dem Üben bei kleinen Gewohnheiten anfangen.

 „Wenn die Kraft der Umstände deine Gelassenheit stört, verlier keine Zeit damit, deine Selbstbeherrschung wiederherzustellen, und bleib nicht länger verstimmt als nötig. Wenn du es dir zur Gewohnheit machst, zur Harmonie zurückzukehren, so wirst du dies immer besser meistern. (Mark Aurel)