Sehnsüchte und das Streben nach einem besseren Leben bestimmen unseren Alltag: „Wenn ich erst aus der Schule raus bin…“ „Wenn erst meine Gehaltserhöhung durch ist …“ „Wenn ich erst die Abschlussprüfung geschafft habe …“ „Wenn erst mal meine Diät anschlägt … dann werde ich glücklich sein!“ Das reden wir uns immer wieder ein. Mit der Sehnsucht im Herzen, andere zu beeindrucken oder bewundert zu werden, jagen wir einem zukünftigen – unerreichbaren – Glück nach und verpassen die Chance, mit dem, was wir haben, im Hier und Jetzt glücklich zu sein.

„Es ist nicht möglich, Glück zu empfinden, wenn wir uns gleichzeitig nach etwas sehnen, das wir nicht haben.“ (Epiktet)

Ähnlich ist es mit der Begierde nach Dingen, die unser Leben angeblich bereichern – eine größere Wohnung, ein neues Auto, eine Fernreise u.v.m. Solchen Begierden nachzugeben, löst ein (vermeintlich) gutes Gefühl aus, z.B. beim Einkaufen von Dingen, die wir eigentlich gar nicht brauchen. Mit Sehnsüchten und Begierden ist es insofern wie mit Wut und Zorn: Es vermittelt kurzfristig ein gutes Gefühl, sie herauszulassen. Und sie können sich leicht hochschaukeln. Wir kennen das: Sobald wir in einem Kaufhaus ein Teil erstanden haben, fällt es viel leichter, ein zweites oder drittes Teil zu kaufen. Dies macht vor allem eines deutlich: unsere Abhängigkeit. Aber die Befriedigung, die aus einer Abhängigkeit erfolgt, kann nicht zu einer dauerhaften Zufriedenheit im Leben führen.

Unsere Sehnsüchte und Begierden sollten wir – wie alle Emotionen – nicht zu unterdrücken versuchen. Der Schlüssel zu ihrer Kontrolle liegt darin, sich bewusst zu machen, woher sie kommen. Nicht selten sind Begierden (z.B. nach einem schönen Kleidungsstück oder einer Süßigkeit) nur Ersatzhandlungen, mit denen wir uns selbst belohnen wollen oder die uns von etwas ablenken sollen. Auch unsere Sehnsucht nach Anerkennung und die ständigen Versuche, andere zu beindrucken, signalisieren, dass es uns oft an etwas ganz anderem fehlt. Angehende Stoiker sollten daher sehr genau auf die Ursprünge ihrer Sehnsüchte und Begierden achten.

„Solltest du jemals deinen Willen auf etwas richten, das nicht in deiner Macht steht, um jemand anderen zu beeindrucken, dann sei versichert, dass du damit den Sinn deines Lebens zunichtemachst.“ (Epiktet)

Aber was ist mit „gesundem Ehrgeiz“? Gibt es nicht Dinge, nach denen es sich zu streben lohnt? Ist nicht z.B. Frieden ein überaus erstrebenswertes Ziel, das uns mit Sehnsucht erfüllen SOLLTE? Oder die Bildung unserer Kinder? Dazu sagt der Stoa-Lehrer Epiktet:

„Denke daran, dass es nicht nur unser Verlangen nach Reichtum und Erfolg ist, das uns unterjocht und erniedrigt, sondern auch das Verlangen nach Frieden, Freizeit, Reisen und Bildung. Um welches Objekt es sich handelt, ist egal – es ist der Wert, den wir einer Sache beimessen, der uns unterwürfig macht. … Wo unser Herz hinstrebt, das ist unsere Bürde.“ (Epiktet)

Das ist harter Tobak! Daher sei an dieser Stelle noch einmal daran erinnert: Der Umgang mit Emotionen wie Sehnsüchten und Begierden ist für die Stoiker keine Frage der Moral. Sehnsüchte sind nicht nur dann problematisch, wenn sie auf den „schnöden Mammon“ gerichtet sind. Vielmehr ist alles Sehnen problematisch, denn es offenbart unsere inneren Abhängigkeiten. Daher sollten wir uns mit Blick auf die eigenen Sehnsüchte immer Klarheit darüber verschaffen: Kontrolliere ich sie oder kontrollieren sie mich? Deshalb ist es auch so wichtig, wachsam zu sein und die eigenen Wünsche und Begierden zu identifizieren. Nur wenn dies gelingt und Sie sich über ihre Ursprünge klar sind, können Sie sie überwinden. Viele „kleine“ Begierden laufen fast schon automatisiert ab und bleiben unter dem Radar. Im Umgang mit ihnen müssen Sie lernen, wie Sie frühe Warnsignale erkennen, und üben, wie Sie innehalten und sich innerlich davon distanzieren können. Diese Übung ist alles andere als leicht, aber wenn Sie nicht aufgeben, ist sie mit stoischer Gelassenheit zu bewältigen.