Beim Stoizismus geht es nicht um das Gute oder das Richtige, sondern darum, immer das von der Vernunft Angeratene zu tun. Das stoische Handeln richtet sich dementsprechend auch nicht an Absolutheitsansprüchen aus, sondern an den Gegebenheiten. Der Stoizismus bietet dem Stoiker einen Leitfaden für sein Verhalten und sein ganzes Wesen, der auf Vernunft basiert, nicht auf Glauben. Dies erfordert eine rationale Analyse der jeweiligen Gegebenheiten und ein rein vernunftgesteuertes Handeln. Dazu muss der Stoiker in sich hineinschauen und sich genau prüfen, bevor er seine eigenen Entscheidungen trifft – unbefangen und unbeeinflusst von allgemeinen Auffassungen.

„Dies sind die Wesensmerkmale einer vernunftgesteuerten Seele: Selbstwahrnehmung, Selbstprüfung und selbstbestimmtes Handeln. Sie werden reiche Früchte tragen. … Und alle selbstgesteckten Ziele übertreffen. (Mark Aurel)

Mit Blick auf das Ziel der Eudaimonia, einer gelungenen Lebensführung, geht es darum, was ich mir in der gegebenen Situation gebiete, um derjenige werden zu können, der ich sein möchte. Die Stoa begründet einen entschlossenen Rationalismus, der das Individuum als vernünftiges oder doch wenigstens vernunftfähiges Wesen niemals aus der Pflicht entlässt, das Vernünftige zu tun. (Pflicht ist insoweit ein wesentliches Stichwort für die stoische Lebenspraxis.)

Zwar kann nicht jedes Problem mit Vernunft gelöst werden. Aber nur die Logik und Vernunft eröffnen eine Möglichkeit, mit der Problemlage richtig umzugehen – selbst wenn die Vernunft am Ende zu dem Schluss kommt, dass alle Anstrengung nichts fruchtet. Denn es liegt in unserer inneren Natur, vernunftgemäß zu denken und zu handeln. Zumindest haben wir von Natur aus die Fähigkeit dazu.

„Der Mensch, der in allen Dingen seiner Vernunft folgt, wird die nötige Muße haben und die Bereitschaft zu handeln – er ist zugleich heiter und gelassen.“ (Mark Aurel)