Bevor wir uns den Emotionen im Einzelnen zuwenden, sollten wir zunächst das Verhältnis der Stoa zur Emotionalität klären.

Für die Stoa sind Emotionen kein moralisches Fehlverhalten. Emotionen wie Zorn, Neid und Habgier werden von Stoikern nicht als Sünden angesehen, die per se schlecht und zu verurteilen sind (während die katholische Kirche sie sogar als „Todsünden“ bezeichnet).  Emotionen stehen „nur“ einer vernunftgemäßen Betrachtung im Weg und erschweren damit tugendhaftes Verhalten. Wenn wir unser volles Potenzial entwickeln und damit Zufriedenheit im Leben gewinnen wollen, erweisen sich manche Emotionen – nach dem Verständnis der Stoiker – oftmals als Hemmschuh oder (bildlich) als Sand im Getriebe. Der „richtige“ Umgang mit Emotionen ist daher keine Frage der Moral, sondern der jeweiligen Gegebenheiten und kann – vor allem durch Selbsterkenntnis – gelernt werden. Der Stoiker verteufelt somit Emotionen nicht, sondern er trainiert den richtigen Umgang mit ihnen, damit sie ihn auf dem Weg zur Tugend nicht unnötig behindern.

Problematisch ist für den Stoiker vor allem die manipulative Macht von Emotionen, die es – oft unbewusst – ermöglicht, dass die Realität durch unsere Vorstellung überlagert wird, so dass wir nicht mehr vernünftig handeln können. Wer schon einmal panikartige Angst gespürt hat, weiß wie schwer es ist, dann noch einen klaren Gedanken zu fassen. Und wer schon einmal „gerechten“ Zorn in sich gefühlt hat, weiß mit welcher Macht Gewaltphantasien an die Oberfläche drängen können. Schließlich gibt es sicher auch niemanden, der nicht schon einmal Heißhunger verspürt und ihm wider alle Vernunft nachgegeben hat. Die Stoa hat natürlich keinen Masterplan für den Umgang mit allen Emotionen. Aber sie hält ihren Schülern die Wirkung von Emotionen immer wieder mahnend vor Augen und hält sie dazu an, sich im Alltag durch Übungen darauf einzustellen.

Lerne deine Gefühlswelt kennen …

Es mag paradox klingen, ist es aber nicht: Die Stoa ermutigt uns, in uns hineinzuhorchen und – mit analytischer Distanz und nicht wie die erschreckten Gaffer bei einem Verkehrsunfall – unsere Gefühlsreaktionen, ihre Auslöser und Abläufe zu beobachten. Emotionen gehen in der Regel Reize, Impulse und Signale voraus, auf die wir achten und die wir „lesen“ lernen sollten. Zwar gibt es keinen starren Automatismus zwischen Impuls und Reaktion, aber wenn wir uns selbst gut kennen, werden wir frühzeitig das Aufkommen von Emotionen bemerken und zumindest verhindern können, dass sie uns kontrollieren oder manipulieren.

… und sei auf Gefühlsausbrüche vorbereitet

Ob sich Gefühle kontrollieren lassen, ist meist keine Frage des Moments, sondern eine Frage guter Vorbeugung. Denn oft ist es bereits zu spät, wenn wir eine emotionsgeladene Situation auf uns zukommen lassen und erst dann, wenn der „Auslöser“ betätigt ist, das natürliche Reiz-Reaktions-Schema zu durchbrechen versuchen. Stoiker werden sich vielmehr langfristig und planvoll darauf vorbereiten, wie sie die manipulative Macht ihrer eigenen Emotionen erkennen und vermeiden können. Versuchen Sie es! Sie werden selbst auf gute Ideen kommen, wie sich manche Ihrer Emotions-Auslöser vermeiden lassen. Außerdem können Sie bei langfristiger Planung auch die Macht der Routine nutzen (indem Sie etwas stur immer wiederholen) oder die Kraft sozialer Kontrolle einsetzen (indem Freunde oder Partner als „Aufpasser“ fungieren.)