Eine gute Übung für den Alltag ist es, sich immer wieder einmal an die Sterblichkeit – die eigene und die seiner Nächsten – zu erinnern (memento mori). Damit verknüpft ist die grundlegende Erkenntnis, dass alle Dinge vergänglich sind und wir nichts auf Dauer festhalten können.

 „Wenn du dich auch noch so sehr erzürnst oder grämst, so bedenke, dass das Leben nur eine kleine Weile dauert und dass wir bald alle im Grab sein werden.“ (Mark Aurel)

Das regelmäßige Bedenken der Vergänglichkeit soll uns nicht die Freude am Leben verleiden oder uns gar ängstigen. Im Gegenteil: Der Stoiker verwendet den memento mori-Gedanken dazu, den Augenblick wertzuschätzen und Dankbarkeit für die schönen Dinge, die wir haben, zu empfinden. Darin kommt einer der zen­­­­­­­­­­tralen Gedanken des Stoizismus zum Ausdruck: nämlich dass wir eine tiefe Zufriedenheit erleben können mit dem, was wir heute haben, ohne dass wir immer darauf schielen, was wir morgen noch (Größeres, Besseres, Schöneres) erlangen können. So lebt man jeden Tag, als sei es der letzte.

 „So entwickelt man einen perfekten Charakter: indem man jeden Tag verbringt, als sei es der letzte – ohne Hast, ohne Faulheit, ohne Vortäuschung.“ (Mark Aurel)

Das Wissen um die Vergänglichkeit hat außerdem den Effekt, dass wir lernen, loslassen zu können. Dies ist sicher nicht einfach und wird umso schwerer, je mehr uns geliebte Menschen oder Dinge ans Herz gewachsen sind. Jedoch ist es wichtig, sich frühzeitig – zumindest im Geiste – darauf einzustellen, dass es dem natürlichen Verlauf des Lebens entspricht, sie irgendwann zu verlieren. Wenn es soweit ist, darf man darüber Trauer empfinden, der geübte Stoiker sollte sich von der Trauer aber nicht dauerhaft gefangen nehmen lassen.

Dazu ist es entscheidend – so schwierig dies auch sein mag – die Vergänglichkeit aller Dinge nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu erkennen. Wenn dies gelingt, kann man hinter jedem Ende auch immer die Aussicht auf einen Neuanfang durchscheinen sehen. Diese positive Haltung gegenüber der Vergänglichkeit bringt das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse sehr gut zum Ausdruck (hier als Auszug):

„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“

„Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“